Ahnenerbe

 wirkte ab 1935 in Nazi-Deutschland als eine Art Ideenschmiede. Heinrich Himmler, seit 1929 Reichsführer SS, gründete im Juli 1935 die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. als Instrument der SS zur Verbreitung der Rassendoktrin Adolf Hitlers und seiner regierenden nationalsozialistischen Partei.

Besonders förderte das Ahnenerbe die Vorstellung, die heutigen Deutschen seien Abkömmlinge einer alten arischen, anderen biologisch überlegenen Rasse. Die Gruppierung setzte sich aus Gelehrten und Wissenschaftlern verschiedenster akademischer Fachrichtungen zusammen.

Hitler wurde 1933 Reichskanzler und machte Deutschland unter seiner Führung  zu einem Ein-Parteien-Staat unter Kontrolle der NSDAP. Wie erwähnt, hing er der Vorstellung der deutschen Abstammung von den Arien an - im Gegensatz zur etablierten akademischen Meinung behauptete er, die meisten bedeutenden Entwicklungsschritte der Menschheitsgeschichte ließen sich zu den diesen zurückverfolgen, wie etwa Landwirtschaft, Kunst oder die Schrift. Bei der Mehrheit der internationalen Forschung fand dies keinen Anklang, so dass die Nazis das Ahnenerbe gründeten, um Beweise für ihre Rassentheorie zu finden und in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Ahnenerbeforscher interpretierten Erkenntnisse im Sinne Hitlers und scheuten gegebenenfalls auch nicht vor Fälschungen zurück. Die Organisation entsandte Expeditionen in verschiedenste Teile der Welt, um Beweise für Verbreitung und Ausdehnung des Indogermanismus zu finden.

Der nationalsozialistische Machtapparat nutzte die Forschungsergebnisse des Ahnenerbes zur Rechtfertigung seiner Politik. Beispielsweise verwendete die deutsche Propaganda archäologische Beweise für die Verbreitung der Arier in Osteuropa als Rechtfertigung für eine militärische Ausbreitung Deutschlands ("Lebensraum im Osten").

 

Hintergrund

Nach Adolf Hitlers Auffassung ließ sich die Menschheit in drei Gruppen teilen: Kulturgründer, Kulturträger -  und Kulturzerstörer.

Die Kulturgründer waren seiner Ansicht nach die Arier, definiert als  biologisch klar abgrenzbare Rasse, deren Angehörige er sich als großgewachsen und blondhaarig vorstellte und die ihren Ursprung in Nordeuropa haben solle. Er war überzeugt, dass die Indogermanen in vorgeschichtlicher Zeit alle bedeutsamen Entwicklungsschritte der menschlichen Zivilisation hervorgebracht hätten, darunter Landwirtschaft, Architektur, Musik, Literatur und die bildenden Künste. Er glaubte fest daran, dass die Mehrheit der heutigen Deutschen Nachkommen jener Arier seien und von diesen das genetische Erbe biologischer Überlegenheit gegenüber den anderen Rassen erhalten hätten. Im Gegensatz dazu sah er das Judentum als den Kulturzerstörer schlechthin an. Hitler hielt die Juden nicht (wie weitgehend akzeptiert) für eine genetisch diversifizierte Volksgruppe mit gemeinsamen ethnisch-kulturellen und religiösen Vorstellungen, sondern ebenfalls für eine homogene, biologisch definierte Rasse. In seinem Weltbild schädigten die Juden, wo immer sie anzutreffen waren, die Kulturen in ihrer unmittelbaren Umgebung und sorgten letztendlich für deren Untergang.

Hitler hatte seine Vorstellungen über die Größe des deutschen Ahnenerbes erstmals in seinem 1925 erschienenen Buch "Mein Kampf" dargelegt. Außerhalb Deutschlands wurden seine Theorien über die Evolution und Frühgeschichte des Menschen als Unsinn abgetan, der jeglicher Grundlage entbehrte, nicht zuletzt aufgrund fehlender Beweise für bedeutende Entwicklungen nordeuropäischer Gemeinschaften - im Gegensatz zur nachweislichen Entstehung z.B. von Landwirtschaft und Schrift im Nahen Osten und Asien.

Im Januar 1929 ernannte Hitler seinen Parteigenossen Heinrich Himmler zum Leiter der Schutzstaffel (SS), einer 1925 gegründeten paramilitärischen Gruppierung, die ursprünglich als persönliche Leibwache Hitlers und anderer prominenter Nazis diente. Himmler führte umfassende Reorganisationsmaßnahmen durch und sammelte Informationen über prominente Juden, Freimaurer sowie rivalisierende politische Vereinigungen. Ebenfalls bereits 1929 begann Himmler eine großangelegte Rekrutierungskampagne, so dass die SS Ende 1931 bereits mehr als 10.000 Mitglieder besaß. Um sicherzustellen, dass die Mitglieder den "rassischen" Anforderungen genügen würden, gründete er das "Rasse- und Siedlungshauptamt" (RuSHA), dass sowohl Bewerber als auch potentielle Heiratskandidatinnen der SS durchleuchtete. In seiner Überzeugung der Existenz eines "nordischen" Rassetypus als reinster Form des Indogermanismus zeigte er sich von den Ideen Hans F.K. Günthers (1891-) beeinflusst, die in nationalistischen Kreisen weite Verbreitung gefunden hatten.

Himmler interessierte sich sehr für Geschichte und ihre mögliche Nutzbarkeit als Entwurf für die Zukunft. Allerdings wichen seine seine Vorstellungen der alten germanischen Völker doch in einigen Aspekten von denen Hitlers ab.

Hitler hatte sich immer gefragt, warum antike Gesellschaften in Südeuropa eine weitaus fortschrittlichere Technologie und Architektur hervorgebracht hatten als ihre nordeuropäischen Zeitgenossen. Er verwunderte sich über das immense Aufheben um Ausgrabungen in Regionen, die in vorchristlicher Zeit Lebensraum der deutscher Vorfahren gewesen waren. Er bedauerte, diesen Enthusiasmus nicht teilen zu können und sich der Tatsache nur allzu bewusst zu sein, dass die Griechen bereits die Akropolis erbaut hatten, als "unsere Vorväter im Norden noch die ersten Tontöpfe bastelten", über die heutige Archäologen in Verzückung geräten.

Hitler Theorie war, dass die Indogermanen auch den Süden Europas bewohnt haben und für die Entstehung des Alten Griechenlands und Roms verantwortlich gewesen sein mussten. Das wärmere Klima  sollte den Ariern im Süden Entwicklungen ermöglicht haben, die unter den kälteren und feuchteren Bedingungen im Norden nicht entstehen konnten. Himmler kannte diese Ansichten natürlich, glorifizierte aber im Gegensatz zu Hitler die Wildheit und den Mut der germanischen Stämme Nordeuropas. Besonderes Interesse hegte er an Tacitus Germania, einer ethnographischen und historischen Abhandlung über die germanischen Stämme der Eisenzeit, verfasst gegen Ende des 1.Jhdt. unserer Zeitrechnung.

 

Irminsul-Symbol

Die NSDAP ergreift die Macht

Bei der Reichstagswahl 1932 sicherten sich die Nazis 230 Sitze - damit wurden sie stärkste Partei, verfehlten aber die absolute Mehrheit.

Sechs Monate später ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Hitler zum Reichskanzler, welcher dann Schritt für Schritt die Herrschaft der NSDAP und die Aushöhlung der Weimarer Republik vorantrieb. Nach dem Reichstagsbrand im Februar 1933 überzeugte Hitler Hindenburg, die Notverordnung "zum Schutz von Volk und Staat" zu erlassen, mit der die meisten Bürgerrechte außer Kraft gesetzt wurden. Himmler, als neu ernannter Polizeichef von München, begann die Verhaftung als Bedrohung eingestufter Personen - darunter Journalisten, Gewerkschafter, führende Mitglieder der jüdischen Gemeinschaften, Sozialisten und Kommunisten - und deren Unterbringung im Konzentrationslager Dachau. Hitler übertrug ihm später die Leitung der politischen Polizei für das gesamte Reich.

Bereits 1933 begann Himmler mit der Umsetzung von Plänen zur Gründung einer "Nordischen Akademie", die der Ausbildung der SS-Führungskader dienen sollte. Unterstützt wurde er dabei von Karl Maria Wiligut, einem in ultra-nationalistischen Kreisen populärem Okkultisten. Himmler brachte Wiligut in die SS, wo dieser bis zum Brigadeführer aufstieg, und schenkte ihm eine Privatvilla in Berlin. Auch aufgrund von Wiliguts Prophezeiungen erwarb er die Wewelsburg in Westfalen als Basis für zahlreiche SS-Operationen. Der Architekt Hermann Bartels wurde beauftragt, das Schloss für die Zwecke der SS nutzbar zu machen. Zu diesen Umbauten gehörte auch der "Gralsraum", in dessen Mitte ein großer Bergkristall den Heiligen Gral repräsentierte, und der Gruppenführerraum mit dem in den Boden eingelassenen, angeblich indogermanischem Symbol der "Schwarzen Sonne". Himmler richtete auch ein Privatmuseum im Schloss ein und bestimmte den jungen Archäologen Wilhelm Jordan zu dessen Leiter.

1934 begegnete Himmler im Haus des Nazipropagandisten Johann von Leers dem niederländischen Prähistoriker Herman Wirth, der zu dieser Zeit in Deutschland lebte. Wirths Theorien wurden in Deutschland höchst kontrovers diskutiert. Nach der Untersuchung von Symbolen friesischer Volkskunst gewann er die Überzeugung, diese stellten Überreste der  Schrift  einer prähistorischen nordischen Zivilisation dar. Nach Wirths Überzeugung waren diese Zeichen die älteste geschriebene Sprache der Welt und die Grundlage aller anderen Alphabete. Sollte ihm die Entzifferung gelingen, würde dies das Verständnis der alten indogermanischen Religion ermöglichen. Diese Annahme stand im Widerspruch zur etablierten Lehrmeinung, dass sich die beiden ältesten Schriftsprachen in Mesopotamien und Ägypten entwickelt hatten - Nordeuropa hingegen hatte seine eigene Form der Schriftlichkeit, die Runen, erst zwischen 400 vuZ und 50 nuZ unter etruskischem Einfluss herausgebildet. Das Fehlen jeglicher archäologischer oder historischer Beweise für die Existenz einer höheren nordischen Zivilisation versuchte Wirth mit der Herkunft der Arier aus einem arktischen Lebensraum, zwei Millionen Jahre zuvor, zu erklären. Ihre spätere hochentwickelte Gesellschaft sei dann auf einer, seither im Meer versunkenen, Insel im Nordatlantik entstanden, was dem Atlantis-Mythos neuen Auftrieb verschaffte. 

Unter deutschen Archäologen wurden Wirths Ideen abgelehnt, ja verspottet, obwohl diese ihm die Unterstützung einiger wohlhabender Gönner eingebracht hatten und Wirth halfen, diesen Gehör zu verschaffen. Auch Himmler gehörte zu den Anhängern seiner Theorien - er interessierte sich insbesondere für die vorchristlichen Religionen Nordeuropas, die er als Grundlage für die Schaffung einer eigenen, im Heidentum begründeten, Religion ansah, die das Christentum als vorherrschendes Glaubensbekenntnis des Deutschen Volkes ablösen sollte. Die christliche Religion verabscheute Himmler wegen ihres semitischen Ursprungs, der Darstellung Jesus von Nazareths als Juden und der Befürwortung von Nächstenliebe und Mitleid. Gegenüber seinem Leibarzt erwähnte Himmler seine Überzeugung, die alten germanischen Götter würden schließlich zurückkehren.

 

Entstehung und Entwicklung

Bei einem Treffen im Berliner Hauptquartier der SS am 1.Juli 1935 brachte Himmler den Wunsch zum Ausdruck, ein Institut zur Erforschung der Vor- und Frühgeschichte zu gründen. Sowohl Wirth als auch der Agrarwissenschaftler Richard Walther Darré waren unter den Anwesenden und bekundeten enthusiastische Zustimmung.

Infolgedessen wurde diese Organisation als Unterabteilung des RuSHA gegründet -  ursprünglich unter dem Namen "Deutsches Ahnenerbe - Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte e.V.", dies wurde aber 1937 zu "Ahnenerbe" verkürzt. Wirth wurde zum Präsidenten ernannt, Himmler Vorsitzender des Kuratoriums, was ihm die Kontrolle über das Gremium ermöglichte. Ziel des Vereins war die Förderung der Wissenschaft frühzeitlicher Geistesgeschichte.

Obwohl die Mitgliedschaft allen natürlichen und juristischen Personen offenstand, bestand der Führungsstab ausschließlich aus SS-Angehörigen, welche in der Regel auch in anderen Einrichtungen der SS tätig waren  und somit deren Jurisdiktion unterlagen.

Die ersten Räumlichkeiten befanden sich in der Brüderstrasse 29 und 31 in Berlin C 2 (Berlin-Mitte), ein vom Kaufhausmagnaten Rudolf Herzog gemietetes Eckgebäude. Hermann Wirth war im April des Jahres in eine Wohnung unter dieser Adresse gezogen und hatte hier mit der Organisation einer Freilichtschau „Lebensbaum im germanischen Brauchtum“ begonnen. Auf Grund der Erweiterung des Arbeitsgegenstandes und Zugliederung von neuem Personal wurde 1937 ein weiterer Standort in die Raupachstraße 9 in Berlin eröffnet. Ab 1939 übernahm die Institution das arisierte Anwesen von Rudolf Löb in der Pücklerstraße 16 in Berlin-Dahlem.

Die ersten Tätigkeiten der Organisation spiegelten Wirths Fixierung auf alte indogermanische Zeichen wider, Wirth nannte dies Schrift- und Symbolstudien. Beispielsweise wurde der Forscher Yrjö von Grönhagen mit der Sammlung finnischer Kalender auf Holz beauftragt, die aus den verschiedensten Zeichen gestaltet worden waren.

Durch den Fokus der ersten Jahre des Ahnenerbes auf germanische Geschichte und Vorgeschichte waren Konflikte mit anderen nationalsozialistischen „Forschungseinrichtungen“ vorprogrammiert. An erster Stelle ist dabei das Amt Rosenberg zu nennen, dessen Leiter Alfred Rosenberg sich schon vor der Gründung des Ahnenerbes einen ideologischen Kleinkrieg mit Herman Wirth lieferte. Ein anderer Konkurrent war in den ersten Jahren der bereits erwähnte Karl Maria Wiligut, nun Leiter des Amtes für Vor- und Frühgeschichte im "Rasse- und Siedlungshauptamt". Da er für Himmler eine Art persönliches Medium darstellte, war das Ahnenerbe gezwungen, mit Wiligut, dessen bizarre Gedankenwelt keinerlei Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben konnte, zusammenzuarbeiten.

1934 begann Himmler damit, Ausgrabungen in Deutschland finanziell zu unterstützen und diese auch zu besuchen. Dadurch kam er in Kontakt mit Archäologen wie Alexander Langsdorff, Hans Schleif, Werner Buttler oder Wilhelm Unverzagt, dem Direktor des Staatlichen Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin. Ursprünglich beschäftigten sich zwei Abteilungen innerhalb der SS mit Archäologie: Die "Abteilung Ausgrabungen", die zum persönlichen Stab des Reichsführers SS gehörte, und die "Abteilung für Vor- und Frühgeschichte", die dem RuSHA unterstellt war. Letztere ("RA IIIb") wurde 1934 gegründet und sollte als eine Art Generalstab für alle Aktivitäten der SS in Bezug auf Ur- und Frühgeschichte dienen. Unter Leitung des Geologen Rolf Höhne war sie verantwortlich für die archäologische Forschung und daraus resultierende propagandistische Verwertung. Höhne wurde schließlich im Oktober 1937 durch den Archäologen Peter Paulsen abgelöst. Die Abteilung führte selbst keine Ausgrabungen durch, sondern sollte den Einfluss der SS auf andere Institutionen sicherstellen, insbesondere im Hinblick auf Forschung und Lehre sowie die Erhaltung von Fundstätten und Denkmälern. Dies übernahm Langsdorff, mittlerweile in Himmlers persönlichen Stab aufgenommen. Etwaige nützliche Erkenntnisse der Forschungsarbeit sollten natürlich auch bei der Ausbildung und Indoktrinierung der SS-Angehörigen verwendet werden. Bei der Umstrukturierung des RuSHA wurde die Abteilungen schließlich aufgelöst und ihre Aufgaben dem Ahnenerbe übertragen. Dieses führte dann tatsächlich auch selbst Ausgrabungen durch und unterhielt dazu eigenes Personal.

Der offizielle Auftrag des Ahnenerbes bezog sich im wesentlichen auf zwei Ziele: Zum einen die Beschaffung von Beweisen für die Errungenschaften der deutschen Vorfahren, unter Verwendung exakter wissenschaftlicher Methoden; und zum anderen die Vermittlung dieser Funde an die Öffentlichkeit mittels Artikeln, Büchern, Ausstellungen in Museen und das Veranstalten von Fachkonferenzen. Unausweichlich führten die Erwartungen Hitlers aber auch dazu, dass Wahrheiten verzerrt und Funde sorgfältig präpariert wurden, um die erwünschten Ergebnisse zu erzielen. Einige Mitglieder des Ahnenerbes veränderten bewusst ihre Ergebnisse bzw. passten ihre Schlussfolgerungen den Überzeugungen Hitlers an; manchen scheint aber auch nicht bewusst gewesen zu sein, dass ihr Glaube an die nationalsozialistische Doktrin ihre Interpretationen beeinflusste.

Himmler sah das Ahnenerbe als Ideenschmiede an, welche die bisherige Lehrmeinung über die Entwicklung der Menschheit radikal ändern und Hitlers eigene Ideen bestätigen würde. Ebenso war er fest davon überzeugt, dass die Forschungen der Abteilung alte Geheimnisse der Landwirtschaft, Medizin oder Kriegskunst ans Licht bringen würden, die Deutschland zu Gute kommen würden. Das Ahnenerbe beschäftigte Gelehrte einer enormen Bandbreite an Fachrichtungen - dazu gehörten Archäologie, Anthropologie, Ethnologie, Volks- und Runenkunde, Klassische Altertumswissenschaften, Geschichte, Musikwissenschaft, Philologie, Biologie, Zoologie, Botanik, Astronomie und Medizin. Himmler glaubte, dass die miteinander verzahnte Arbeit all dieser verschiedenen Disziplinen die etablierte Lehrmeinung revolutionieren würde - stellvertretend für "Hunderttausende kleiner Mosaiksteine", die schließlich den wahren Blick auf den Ursprung der Welt gewähren würden.

Im Oktober 1936 wurde die bis dahin unabhängige „Pflegstätte für Germanenkunde“ in Detmold (Hermannsdenkmal) ins Ahnenerbe übernommen. Zur Pflegstätte gehörte auch der sogenannte „Führungsdienst Externsteine“, betreut durch Wilhelm Teudt. Diese Sandstein-Felsformationen am Rand des Teutoburger Waldes wurden als „Kultstätte der Ahnen“ verehrt. Weiterhin vermutete man dort den Ort einer Irminsäule, die von Karl dem Großen zerstört worden sei.

Gemäß Himmlers Befehl vom 11. August 1938 schieden Ende Oktober desselben Jahres alle mit wissenschaftlichen Forschungsfragen befassten Mitarbeiter aus dem "Rasse- und Siedlungshauptamt" aus. Die Abteilungsleiter wurden in den Persönlichen Stab Reichsführer-SS übernommen. Einige Mitarbeiter arbeiteten nebenberuflich für das Ahnenerbe. Mit der Satzungsänderung des Ahnenerbes vom 20. März 1937 war es Himmler bereits gelungen, den mittlerweile unerwünschten Einfluss Walther Darrés auf das Ahnenerbe auszuschalten. Dieser hatte über den Reichsnährstand das Ahnenerbe in den ersten Jahren erheblich mitfinanziert und seine Gewährsleute George Ebrecht, Richard Hintmann und Erwin Metzner als einflussreiche Gründungsmitglieder platziert.

In der Satzung wurde ebenfalls Wirth aus der Führungsebene des Vereins verdrängt. Dessen spekulative und skurrile Ideen standen im Widerspruch zu dem angestrebten Ideal echter Wissenschaftlichkeit. Unter der Leitung von Wolfram Sievers als Reichsgeschäftsführer und Walther Wüst als Präsident expandierte das Ahnenerbe beträchtlich. Es umfasste bald mehrere Dutzend Forschungsabteilungen (s.u.). Hinzu kamen Fotolabore, ein Museum, eine Bildhauerwerkstatt sowie mehrere Bibliotheken und Archive in München, Salzburg und Detmold. Die Finanzierung und Auswertung von Ausgrabungen (u. a. im Quedlinburger Dom, wo die Gebeine Heinrichs I. gesucht wurden oder in Haithabu durch Herbert Jankuhn) sowie von Expeditionen (wie der Tibet-Expedition unter Leitung von Ernst Schäfer 1938) machte sich der Verein ebenso zur Aufgabe wie die Veranstaltung von Tagungen und Kongressen. So wurde beispielsweise für die Grabungen von Haithabu über die Hälfte des zur Verfügung stehenden Etats verwendet.

Gleichzeitig versuchte man im Zusammenwirken mit dem Sicherheitsdienst (SD) der SS Einfluss auf die offizielle Wissenschaftspolitik zu nehmen und die Besetzung von Lehrstühlen zu kontrollieren.

Die Organisation ermöglichte einigen ariosophisch-okkultistischen Protagonisten wie Herman Wirth und Karl Maria Wiligut eine zumindest zeitweise prestigeträchtige Integration in das nationalsozialistische System. Demgegenüber wurden etliche völkische Gruppierungen verboten, einzelne Vertreter wie der Runenokkultist Friedrich Bernhard Marby wurden verhaftet oder wie Ernst Wachler zunehmend marginalisiert. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Einrichtung zu einem berüchtigten Dreh- und Angelpunkt für Fiktion, Pseudoarchäologie und Verschwörungstheorien.

 

Finanzierung

Das Ahnenerbe wurde nicht über die NSDAP finanziert und war daher zunächst auf Spenden oder Mitgliedsbeiträge angewiesen. Später gelang es, laufende Zuwendungen der "Deutschen Forschungsgemeinschaft" zu erhalten. Darüber hinaus wurde die Stiftung Deutsches Ahnenerbe ins Leben gerufen, die vor allem aus der Wirtschaft Spenden erhielt. Zu den größten Geldgebern gehörten die Deutsche Bank und die Automobilhersteller BMW und Daimler-Benz. Auch Einkünfte aus von der SS gehaltenen Patenten flossen in die Stiftung, beispielsweise für den Fahrradreflektor von Anton Loibl, in dessen Firma die SS Miteigentümerin war.

Aus welchen Quellen und in welcher Höhe die Organisation weitere Einkünfte erzielte, waren von Beginn an Interna der SS.

 

Institute

Das Ahnenerbe unterhielt zahlreiche verschiedene Institutionen oder Sektionen in seinen Forschungsbereichen. Die meisten waren archäologischer Natur, aber es gab beispielsweise auch die "Pflegestätte für Wetterkunde" unter Leitung von Obersturmführer Dr. Hans Robert Scultetus, die sich mit Langzeitvoraussagen auf Basis von Hanns Hörbigers Welteislehre beschäftigte, oder die musikwissenschaftliche Sektion auf der Suche nach der "Essenz" der deutschen Musik. Letztere zeichnete bei ihren Expeditionen Volksmusik in Finnland, auf den Färoer-Inseln, in Südtirol und von sog. "Volksdeutschen" im Ausland auf. Manuskripte und Liederbücher wurden transkribiert, sowie Volkstänze und die Verwendung landestypischer Instrumente filmisch und fotografisch festgehalten. Zum zentralen Forschungsobjekt wurde dabei die Lure, ein bronzezeitliches Blasinstrument, an welchem sich exemplarisch der Gegensatz zwischen "germanischem Wohlklang" und "jüdischem Atonalismus" aufzeigen lassen sollte.

 

Realisierte „Naturwissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätten“

  • Abteilung für angewandte Geologie
    • Leiter: Josef Wimmer
  • Abteilung für Astronomie (Sternwarte Grünwald)
    • Leiter: Philipp Fauth
  • Abteilung für Biologie
    • Leiter: Walter Greite
  • Abteilung für Botanik
    • Leiter: Philipp von Lützelburg
  • Abteilung für darstellende und angewandte Naturkunde, „Haus der Natur Salzburg“
    • Leiter: Eduard Paul Tratz
  • Forschungsstätte Innerasien und Expeditionen (später Rubrum Reichsinstitut Sven Hedin)
    • Leiter: Ernst Schäfer
  • Forschungsstätte für Karst- und Höhlenkunde
    • Leiter: Hans Brand, Nachfolger von Walther Steinhäuser
  • Abteilung für naturwissenschaftliche Vorgeschichte
    • Leiter: Rudolf Schütrumpf
  • Forschungsstätte für Pflanzengenetik
    • Leiter: Heinz Brücher
  • Abteilung Provinzialstelle für Wurtenforschung 
    • Leiter: Werner Haarnagel
  • Abteilung für Wetterkunde (Geophysik)
    • zeitweiliger Leiter: Hans Robert Scultetus

Aus dem Ahnenerbe hervorgegangen

Entomologisches Institut der Waffen-SS (später integriert in das "Institut für wehrwissenschaftliche Zweckforschung")

  • Leiter: Eduard May

Institut für Wehrwissenschaftliche Zweckforschung der Waffen-SS

  • Direktor: Wolfram Sievers

Realisierte „Geistes- und kulturwissenschaftliche Lehr- und Forschungsstätten“

  • Abteilung für angewandte Sprachsoziologie
    • Leiter: Georg Schmidt-Rohr
  • Abteilung für Ausgrabungen
    • Leiter: Herbert Jankuhn, Nachfolger von Hans Schleif
  • Abteilung für den Vorderen Orient
    • Leiter: Viktor Christian
  • Abteilung für deutsche Volkskunde (Volksforschung und Volkskunde)
    • Leiter: Heinrich Harmjanz
  • Abteilung für germanisch-deutsche Volkskunde
    • Leiter: Richard Wolfram
  • Abteilung für germanische Kulturwissenschaft und Landschaftskunde
    • Leiter: Joseph Otto Plassmann
  • Abteilung für germanische Sprachwissenschaft und Landschaftskunde
    • Leiter: Bruno Schweizer
  • Abteilung für germanisches Bauwesen
    • Leiter: Martin Rudolph
  • Abteilung für Hausmarken und Sippenzeichen
    • Leiter: bis 1939 Karl Konrad Ruppel, danach vakant
  • Abteilung Deutschrechtliches Institut der Universität Bonn
    • Leiter: Karl August Eckhardt, Hauptmitarbeiter: Falk Zipperer
  • Abteilung für indogermanisch-deutsche Rechtsgeschichte
    • als Leiter erst vorgesehen: Karl August Eckhardt; dann kommissarischer Leiter: Wilhelm Ebel
  • Abteilung für indogermanisch-finnische Kulturbeziehungen
    • Leiter: bis 1939 Yrjö von Grönhagen, danach vakant
  • Abteilung für indogermanische Glaubensgeschichte
    • Leiter: Otto Huth
  • Abteilung für keltische Volksforschung
    • Leiter: Ludwig Mühlhausen
  • Abteilung für Klassische Philologie und Altertumskunde (Klassische Altertumswissenschaft)
    • Leiter: Rudolf Till (Latein), Franz Dirlmeier (Griechisch)
  • Abteilung für Märchen- und Sagenkunde
    • Leiter: Joseph Otto Plassmann
  • Abteilung für Mittellatein
    • Leiter: Paul Lehmann
  • Abteilung für nordafrikanische Kulturwissenschaft
    • Leiter: Otto Rössler
  • Abteilung für Ortung und Landschaftssinnbilder
    • Leiter: Werner Müller
  • Abteilung für Schrift- und Sinnbildkunde (Runenkunde)
    • Leiter: Wolfgang Krause; anderen Angaben zufolge erst Herman Wirth, dann Karl Theodor Weigel
  • Abteilung für indogermanisch-germanische Sprach- und Kulturwissenschaft
    • Vorher: Abteilung für Wortkunde (indogermanisch-arische Sprach- und Kulturwissenschaft)
    • Leiter: Richard von Kienle als Nachfolger von Walther Wüst

Geplante bzw. vorläufige Abteilungen

  • Abteilung für die gesamte Naturwissenschaft
  • Abteilung für Friesenkunde
    • Zeitweilig vorgesehener Leiter: Otto Maußer
  • Abteilung für germanische Kunst
    • Vorgesehener Leiter: Karl Ginhart
  • Abteilung für indogermanisch-deutsche Musikwissenschaft
    • Vorgesehener Leiter: Alfred Quellmalz
  • Abteilung für Philosophie
    • Vorgesehener Leiter: Kurt Schilling
  • Abteilung zur Überprüfung der sogenannten Geheimwissenschaften
  • Abteilung für Urgeschichte
    • Vorgesehener Leiter: Assien Bohmers
  • Abteilung für Volksmedizin
    • Vorgesehener Leiter: Alexander Berg

 

Expeditionen

Das Ahnenerbe fasste eine Vielzahl von Expeditionszielen im In- und Ausland ins Auge, ob und in welchem Umfang diese umgesetzt werden, bleibt noch offen. Folgend nur eine unvollständige Auswahl an Interessensgebieten:

Deutsches Reich: Hedeby/ Haithabu, Heuneburg/Donau (Grabhügel "Hohmichele"), Tal der Murg/ Württemberg (Höhlensystem), Mauerner Höhlen/ Fränkisches Jura

Frankreich: Trois Freres / Font-de-Gaume / Teyat / La Mouthe / Dordogne (prähistorische Felskunst / Höhlensysteme), Bayeux (Teppich), Montsegur/ Pyrenäen (Katharer/Gral)

Island: Altisländische Siedlungskultur, Sagas

Finnland: Karelien und die Kalevala (finnisches Nationalepos)

Schweden: Bohuslän (Felsinschriften, besonderes Interesse von Herman Wirth), Uppsala (Odintempel)

Italien: Val Camonica (prähistorische Felsinschriften), Sardinien (Nuraghen), Ancona (Codex Aesinas, mittelalterliche Tacitus-Abschrift)

Spanien: Kanarische Inseln (Guanchen-Mumien)

Polen: Krakau (Altar von Veit Stoss)

Rumänien: altes Königreich Dacien

Sowjetunion: Halbinsel Kertsch/ Krim (Gotenkrone)

Orient: Babylon (Turm von Babel, Schicksalstafeln), Hatra/ Nordirak, Tibet (Shangri-La, Lhasa, Chinga-Meteorit), Iran (Behistun-Inschriften)

Mittelamerika: Mexiko/ Teotihuacan (Mondpyramide)

Südamerika: Tiwanaku bzw. Tihuanaku/ Bolivien (Sonnentor), Titicaca-See, Inka-Reich

Antarktis: Neu-Schwaben (Welteislehre)

 

Medizinische Experimente

Unbestätigte Gerüchte, noch geheim